Zauber im Bambushain: Eine Trekking-Tour zu den letzten Bergvölkern Nordthailands

Von DORISEA-Forscher Volker Gottowik, Universität Heidelberg

Nordthailand ist berühmt für seine Bergvölker. Als idealer Ausgangspunkt für Trekking-Touren zu den „Hill Tribes“ gilt Chiang Mai, die zweitgrößte Stadt des Landes. Es gibt ungezählte Reiseagenturen in dieser Stadt, die entsprechende Touren anbieten. Sie heißen zum Beispiel „Real Adventure Tours“ oder „Wild Adventure Tours“. Die klassische Tour umfasst, wie mir erklärt wird, vier Komponenten: „Mountain Trekking“, „Hill Tribe Village“, „Elephant Riding“ und „White Water Rafting“. Ich entschließe mich zu einer solchen Zwei-Tages-Tour und buche „Real Adventure”.

In einem Reiseführer über Thailand hatte ich gelesen, dass man als Weißer in den Dörfern dieser Bergvölker noch „gelegentlich für einen Geist gehalten“ wird.[1] Doch Reinhard Hohler, ein Reiseveranstalter, der seit dreißig Jahren in Thailand tätig ist, kann darüber nur müde lächeln. „Es gibt“, wie er mir gegenüber betont, „die abgelegenen und idyllischen Bergdörfer in Thailand nicht mehr. Die Leute haben Strom und Fernsehen, und bei einigen steht schon der Pick-Up vor der Tür.“

Ich begann mich umzuhören und stieß auf weitere Widersprüche: Auf einer Tagung thailändischer Tourismusbehörden in Chiang Mai war Anfang Dezember 2010 beschlossen worden, den „Adventure and Eco Tourism“ in der Region weiter auszubauen. Dagegen warnen thailändische Ethnologen schon jetzt vor den negativen Auswirkungen dieses „sanften Tourismus“. So ist zum Beispiel Jamaree Chiengthong von der Chiang Mai University davon überzeugt, dass der Schaden dieser Form des Tourismus für die Bergvölker größer sei als der Nutzen. „Die Touristen missachten grundlegende Regeln“, klagt sie an. „Sie betreten sakrale Bereiche, die der Verehrung der Ahnen vorbehalten sind. Und das freizügige Verhalten zwischen den Geschlechtern stößt die Einheimischen zusätzlich vor den Kopf.“ Solche Aussagen machten mich neugierig. Ich wollte herausfinden, wie sich die Begegnung zwischen Trekker und Tribe tatsächlich gestaltet. Und so entschied ich, selbst auf eine solche Trekking-Tour zu gehen.[2]

Wie vereinbart werde ich vom Veranstalter gegen 9.00 Uhr von meinem Gästehaus am Rande der Altstadt von Chiang Mai abgeholt. Zwei junge Frauen sitzen bereits im Kleinbus. Es sind Kate und Katie. Sie kommen aus San Francisco und planen, nach der Trekking-Tour über Südthailand und Malaysia nach Indonesien zu reisen. Dann steigen Pascal und Danielle zu, ein junges Paar aus Paris. Sie haben bereits Vietnam und Kambodscha besucht und wollen anschließend noch durch Laos touren. Gemeinsam mit ihnen steigt Antonio in den Wagen: Sonnenbrille, Fünf-Tage-Bart, Muscle-Shirt. Er kommt aus Italien, war schon im Süden von Thailand und plant, anschließend noch ein paar Tage in Bangkok zu bleiben. Die Letzte, die wir an ihrem Hotel abholen, ist Sophie. Sie stammt aus der Bretagne und will nach der Tour einen Massage-Kurs in Chiang Rai absolvieren. Die Teilnehmerliste, in die wir uns eintragen, verrät, dass Danielle mit 22 Jahren die Jüngste ist und Antonio mit 34 Jahren der Älteste – den Erzähler einmal ausgenommen.

Während der eineinhalbstündigen Fahrt Richtung Norden wird von bestandenen Reiseabenteuern berichtet. Antonio erzählt von Vollmond- und Halbmond-Partys am Strand von Koh Tao mit bis zu 20.000 Teilnehmern. Kate und Katie sind beeindruckt. Die nächste Party wollen sie auf keinen Fall versäumen. Wir erreichen Mae Malai und legen auf dem Markt eine kurze Pause ein. Unser „Tour Guide“ stellt sich vor. Er heißt Pan, ist Anfang dreißig und kommt aus der Nähe von Chiang Rai. Wir versorgen uns mit Trinkwasser für die Tour. Antonio holt sich ein Chang Dosenbier.

Wir fahren weiter in Richtung Pai. Da Kate und Katie als einzige von uns auch „Longneck Tribes“ gebucht haben, setzen wir sie nach kurzer Fahrt an einem Ressort ab. Sie sollen später wieder zu uns stoßen. Kaum haben sie sich von uns verabschiedet, fällt der Begriff „Menschenzoo“. Pascal zufolge würden die Frauen der „Longneck Tribes“ schon lange keine Messinghalsketten mehr tragen. Wenn sie es heute wieder tun, dann nur, um sich als Touristenattraktion vermarkten zu lassen.

Ein Ethnologe an der Chiang Mai University, Prasit Leepreecha, hatte mir erzählt, dass es sich bei den Kayan, wie sich die „Longneck“ selbst nennen, um Flüchtlinge aus Burma handelt. Sie sind erst vor rund 30 Jahren nach Nordthailand eingewandert, wo man ihnen auf ambivalente Weise begegnet. Einerseits werden sie von der lokalen Tourismusbehörde dazu ermutigt, ihre traditionelle Lebensweise beizubehalten, um sie als Touristenattraktion vermarkten zu können. Andererseits bemüht sich die Regierung in Bangkok darum, sie entweder wieder los zu werden oder aus ihnen – wie aus allen „Hill Tribes“ – echte Thai zu machen. Zu dieser Thaiisierung der ethnischen Minderheiten gehört, dass die Regierung Missionare aller Konfessionen dazu ermutigt, bei den Bergvölkern tätig zu werden. Wir diskutieren noch über die Folgen einer solchen Politik, als Kate und Katie schon wieder zu uns stoßen. Sie haben Fotos gemacht und reichen ihre Kamera herum. Auf einem der Bilder ist eine junge Frau mit Messinghalsschmuck zu sehen, die ein kleines Kind auf dem Schoss hält. Wir verkneifen es uns, dieses Postkartenmotiv zu kommentieren.

Nach einem Mittagessen aus Fertignudeln mit Gemüse starten wir zu unserer Trekking Tour. Wir wandern zunächst auf einer asphaltierten Straße, um dann einem Bachlauf zu folgen. Es geht stetig bergauf, und es ist interessant zu beobachten, wie unterschiedlich wir auf die körperlichen Anstrengungen reagieren. Während Pan, unser „Tour Guide“, in seiner Nylon-Jacke überhaupt nicht zu schwitzen scheint, ist Antonios Muscle-Shirt schon nach wenigen Minuten völlig durchgeweicht. Es ist heiß, und der Weg ist steil. Er führt uns durch eintönigen Sekundärwald, vor allem durch Bambushaine. Immer wieder müssen wir wegen der Hitze kurze Pausen einlegen, in denen wir von Moskitos attackiert werden. Katie reagiert allergisch auf die Stiche, worauf Antonio ihr ein linderndes Gel reicht. Von jetzt an wird er auch ihren Rucksack tragen.

Der Pfad führt immer weiter den Bachlauf hinauf, wir steigen von etwa 400 auf 900 Höhenmeter. Unser erstes Ziel ist eine Fledermaushöhle, doch müssen wir feststellen, dass alle Bewohner ausgeflogen sind. Die Höhle ist nur in der Regenzeit bevölkert, erklärt uns Pan. Dass wir schon seit zwei Monaten Trockenzeit haben, muss er nicht extra erwähnen.

Wir gehen weiter bergauf, bis wir einen Grat erreichen, über den ein breiter Feldweg verläuft. Der Ausblick, der sich nach zweieinhalb Stunden beschwerlichen Aufstiegs eröffnet, erinnert mich an heimische Mittelgebirge.

Abb. 1 - Tropische Landschaft mit Kohlfeldern

Hier oben gibt es ausgedehnte Kohlfelder, die unter einer Sprinkleranlage farbenfroh in der Sonne glitzern. Ein Bauer, der mit seinem Moped herauf gefahren ist, sieht uns etwas verstört an. Er hat Bambuswürmer gesammelt, die gegrillt in Thailand als Delikatesse gelten.

Abb. 2 - Gegrillt eine Delikatesse

Wir folgen jetzt dem Feldweg und haben bereits ein Dorf vor Augen, als Kate mit dem Fuß umknickt und stürzt. Sie zieht sich Schürfwunden an Wade und Oberschenkel zu, die von Pan sofort behandelt werden. Wir legen eine Pause ein, in der uns unser „Tour Guide“ erklärt, dass das Dorf vor uns von Hmong bewohnt wird. Die Hmong stammen aus der Mongolei, und er spricht Hmong so aus, dass die etymologische Ableitung nicht zu überhören sind. Es seien Christen, Buddhisten und Animisten. Eine Kirche am Rande des Dorfes ist – auch ohne Kirchturm – das auffälligste Gebäude zwischen den aus Stein errichteten Häusern.

Abb. 3 - Die Kohlfelder der Hmong

Pascal ist irritiert. Er hat gelesen, dass die Herkunft der Hmong ungeklärt sei. Es gäbe Gruppen in China, die eine ähnliche Sprache sprechen und vergleichbare Rituale kennen. Nicht jedoch in der Mongolei. Pan geht auf diesen Einwand nicht ein. Eine Diskussion scheitert an unseren begrenzten sprachlichen Möglichkeiten.

Wir lassen das Hmong-Dorf rechts liegen, um auf einem schmalen Pfad in ein Tal abzusteigen. Es ist steil, und wir müssen über umgestürzte Bäume klettern. Auf halbem Weg zum Talboden erreichen wir ein paar Hütten. Hier leben, wie Pan erklärt, vier Familien mit knapp dreißig Personen. Es gibt Strom, es gibt sanitäre Anlagen. Die Hütten sind, anders als oben im Dorf, aus Holz und Bambus errichtet. Hier werden wir übernachten.

Da im Tal bereits die Elefanten auf uns warten, legen wir unser Gepäck ab und steigen weiter bergab. Der Bulle und die beiden Kühe, die im gestauten Bach gerade gebadet wurden, vermitteln einen bemitleidenswerten Eindruck. Vor allem der Bulle scheint krank. Bevor er für uns gesattelt wird, erhält er eine Injektion ins rechte Auge. Dann kann es losgehen. Da ein Sattel nur zwei Personen fasst, wir aber insgesamt zu siebt sind, soll einer von uns auf dem Nacken des Bullen reiten. Das wird Antonio sein. Er wird wie ein erfahrener Mahout dem Elefanten die Kommandos geben – zunächst auf dem Nacken des Bullen sitzend, dann auf dessen breiter Stirn.

Abb. 4 - Drei Mahout aus dem Westen und ein Elefant (Foto: Diana B.)

Dass der Bulle kaum eine Bananenstaude stehen lässt, ist nicht seine Schuld. Und auch nicht, dass tief hängende Äste uns immer wieder ins Gesicht schlagen. Es geht quälend langsam voran. Für rund einen Kilometer benötigen wir eine ganze Stunde. Genügend Zeit um Unmengen von Fotos zu schießen, die wir uns gegenseitig zuschicken wollen. Mit dem letzten Tageslicht steigen wir aus dem Sattel, um rasch den Hang zu unserer Ansiedlung emporzusteigen.

Zwischen den Hütten haben die Dorfbewohner auf offenem Feuer ein Abendessen für uns vorbereitet. Es gibt grünes Auberginen-Curry mit Huhn, Gemüse und Reis. Für sich selbst haben sie etwas anderes gekocht, was mit den Gewürzen begründet wird, die wir nicht vertrügen. Vor allem die einheimischen Frauen, zum Teil in traditionelle Gewänder gekleidet, bleiben im Hintergrund. Jay-Jay, ein junger Mann mit Jeans und nacktem Oberkörper, kündigt an, uns nach dem Essen seine „magic“ zeigen zu wollen. Er scheint stark angetrunken, wie auch alle anderen männlichen Bewohner.

Was er mit dieser „magic“ meint, wird rasch klar, als er anbietet, kleine Münzen verschwinden zu lassen und verdeckt gezogene Spielkarten zu erraten. Er kennt auch kleine Tricks mit einem Strick, die er uns präsentiert, im sicheren Glauben, dass wir dieses esoterische Wissen bei den letzten Bergvölkern Thailands zu schätzen wissen. Leider versäumt er den richtigen Moment, um damit aufzuhören. Es dauert nicht lange, und er beginnt uns zu nerven.

Danielle hat sich einen Jungen namens Bon geschnappt. Der Kleine ist bildhübsch, hat eine Haut wie Kakaobutter und ein trübes Auge. Er darf in ihrem Tagebuch malen. Anschließend fotographieren sie sich gegenseitig. Sophie hat sich gleich nach dem Essen hingelegt, und auch Kate und Katie verabschieden sich zügig.

Der Rest unseres Trekking-Teams spricht dem Chang-Dosenbier zu, das die Einheimischen in ausreichender Menge für uns bereithalten. Wir kommen rasch miteinander ins Gespräch. Pascal und Danielle haben schon einen Studienabschluss in Marketing und Betriebswirtschaft. Vor allem Danielle beeindruckt mich. Sie spricht neben Französisch fließend Spanisch und Englisch. Von Katie weiß ich, dass sie gerade ein Volontariat in Genf abgeschlossen hat. Kate hat als Sprachlehrerin in Südkorea gearbeitet. Und Sophie ist ebenfalls in dieser Branche tätig. Sie unterrichtet Französisch als Fremdsprache und Spanisch. Nur Antonio fällt etwas aus dem Rahmen. Er arbeitet für eine Firma, die mit Spirituosen zu tun hat. Wie zum Beweis schenkt er jedem von uns ein Fläschchen „Barcelo Rhon Viejo“. Damit hat er endgültig die Herzen aller gewonnen.

Es ist spät geworden, als wir unsere leeren Rum-Fläschchen zusammenräumen und in der Küche zu den leeren Reisschnapsflaschen stellen. Die Einheimischen haben sich schon lange zurückgezogen. Einige liegen eng an eng auf der Veranda. Ich vermute, dass es sich um die Bewohner der Hütte handelt, die für uns frei geräumt wurde.

Ich liege zwischen Antonio und Pascal. Mit Antonio teile ich das Moskitonetz, mit Pascal die Matratze. Da Pascal die Matratze ganz dicht an die von Danielle gerückt hat, klafft dort, wo mein Platz ist, eine breite Lücke am Boden. Ich lege mich in die Lücke und kann lange nicht einschlafen. Zwischen dem Schnarchen, das Antonio von sich gibt, höre ich die gleichmäßigen Atemzüge von Danielle.

Mir fällt ein, dass an diesem Abend kein einziges Mal von Opium die Rede war. Noch vor zehn Jahren sollen die Bergvölker weitgehend unbehelligt Opium an Trekking-Touristen verkauft haben. In seinem Roman „Fieldwork“ beschreibt Mischa Berlinski seine Erfahrungen mit dem „Opium Man”, der sich neben ihn gelegt hat, um ihm das Pfeifchen zu stopfen: „Only a lover lies in bed with you like the Opium Man”, erinnert sich Berlinski.[3] Doch diese Zeiten scheinen vorbei. Die thailändische Regierung hat ihren Kampf gegen den illegalen Drogenanbau im Goldenen Dreieck gewonnen. Die Jugendlichen in den Bergen sind mittlerweile dazu übergegangen, sich mit billigen Amphetaminen zu versorgen. Die Folgen sollen mindestens so verheerend sein.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, hat Jay-Jay bereits Wasser für Kaffee aufgesetzt. Zwischen den Hütten flackern offene Feuer, über denen Kinder Klebereis in frisch geschlagenen Bambusstangen garen. Der Klebereis, den mir Bon reicht, passt wunderbar zum Geschmack des Nescafé.

Es hat in der Nacht zu regnen begonnen, und auch jetzt am frühen Morgen nieselt es. Vom Talgrund klingt thailändische Pop-Musik herauf wie aus anderen Sphären. Sophie ist auch schon aufgestanden, sie hat fast zwölf Stunden geschlafen. Pascal und Danielle haben Beziehungsstress, dagegen sind Kate und Katie trotz des schlechten Wetters gut drauf. Nur Antonio schläft immer noch.

Um für das Frühstück einzukaufen, fährt Jay-Jay mit einem Moped rasch ins höher gelegene Hmong-Dorf. Er kommt nach wenigen Minuten mit Eiern, Tomaten und Toastbrot zurück. Unser Frühstück nehmen wir stehend ein. Es ist mit dem Regen ziemlich kühl geworden.

Da sich kein Ende der Niederschläge abzeichnet, brechen wir gegen 10 Uhr auf. Und wir sollen Recht behalten: Es wird den ganzen Tag über regnen. Für eine solche Tour im Regen sind wir nicht richtig ausgerüstet. Sophie ist die einzige mit einem Regencape, nur Antonio und ich haben Bergstiefel. Alle anderen tragen Turnschuhe, Danielle die modischen aus buntem Leinen. Vor allem der Weg runter ins Tal wird zur Rutschpartie. Die rote Erde krallt sich in die Profile und nimmt uns jeden Halt. Erst als wir auf der anderen Seite des Tals wieder aufsteigen, wird es besser. Doch wir sind schon jetzt durchnässt bis auf die Haut.

Wir folgen einem Pfad über einen offenen Hang, der in den Wald einmündet. Vereinzelte Baumriesen erinnern daran, dass auch hier einmal Regenwald stand. Es geht stetig bergauf, doch der Weg ist nicht so anstrengend wie gestern. Ich versuche Jay-Jay, der vorangeht, von den Vorteilen des „alpinen Stils“ zu überzeugen. Statt schnell zu gehen und alle paar Minuten eine Pause einzulegen, möge er langsam gehen und dafür weitgehend auf Pausen verzichten. Er lässt sich eine Weile darauf ein. Ich finde meinen Rhythmus und genieße die gleichmäßige Belastung des Körpers.

Nach zwei Stunden erreichen wir einen Bach, den wir auf einer improvisierten Brücke überqueren. Ein Wasserfall mit knapp vier Metern Fallhöhe hat ein natürliches Bassin in den Stein gewaschen. Jay-Jay erklärt, dass wir hier baden können. Alle – Sophie und ich ausgenommen – kleiden sich um. Danielle hat einen roten Bikini angezogen, der ihren dunklen Teint vorteilhaft zur Geltung bringt. Antonio ist der erste, der mit einem Kopfsprung in das Bassin eintaucht. Er erhält dafür Applaus – auch von Danielle.

Abb. 5 - Flying high: Kate und Katie sind Kate Winslett

Als eine andere Trekking-Gruppe eintrifft, ziehen wir weiter. Wir steigen aus dem Tal heraus und treffen auf einen breiten, fast ebenerdigen Feldweg, dem wir durch eine offene Landschaft folgen. Die Stimmung ist entspannt, niemand scheint auf den steten Regen zu achten. Antonio und ich fotographieren Kohlfelder, die auch hier die Nähe eines Dorfes ankündigen. Wir gestehen uns ein, uns in Kate und Katie geirrt zu haben. Unsere „California Girls“ verbreiten gute Laune und verkörpern mittlerweile für uns, was wir für den „American Spirit“ halten.

Abb. 6 - Tropische Kohlfelder bei Nieselregen

Nach einer weiteren Stunde biegen wir in einen schmalen Pfad ein. Es ist abschüssig, es ist glitschig. Ich erinnere mich daran, „Real Adventure“ gebucht zu haben. Erst rutscht Pan hinter mir aus, dann erwischt es mich. Auf der Suche nach Halt greife ich in Stacheldraht, komme jedoch mit ein paar Schrammen davon. Antonio bietet mir Pflaster an. Ich beginne, ihn richtig gut zu finden.

Als wir das Dorf erreichen, interessiert sich niemand dafür, ob es Lahu oder Lisu, Akha oder Karen sind, die hier leben. Wir sind durchnässt, wir sind hungrig. Unser Mittagessen besteht aus Reis und Gemüse. Ein Wagen, der uns zum „White Water Rafting“ bringen wird, steht bereit. Bei der Weiterfahrt wird offenkundig, dass wir das Dorf auch bequem auf einem breiten Feldweg hätten erreichen können.

Während unserer Fahrt über asphaltierte Straßen, vorbei an Freizeitanlagen, Elefantencamps, Solarpanels und Gästehäusern wird deutlich, dass sich der Norden Thailands rasant verändert. Der staatlich geförderte Abenteuer- und Öko-Tourismus verhilft der Bevölkerung in dieser Region zu einem gewissen Einkommen – doch der relative Wohlstand, zu dem er beiträgt, entzieht ihm selbst die Grundlage. Der einzige Ausweg scheint „staged authenticity“ zu sein.[4] Den touristischen Besuchern wird eine traditionelle Lebensweise vorgespielt, die selbst in abgelegenen Bergdörfern längst der Vergangenheit angehört.

Es regnet ununterbrochen, und so ist der Gebirgsbach, in dem wir uns als Rafting-Team beweisen wollen, zu einem reißenden Fluss angeschwollen. Die Weste und der Helm, die wir anlegen, sind kaum mehr als ein Alibi. Der einheimische Steuermann, dem wir uns anvertrauen, versteht kein einziges Wort Englisch.

Schon nach der ersten Stromschnelle sind wir alle klitschnass. Das Wasser ist kalt, die Kleidung klebt unangenehm am Körper. Vor der Schlüsselstelle, auf die uns unser Steuermann mit nervöser Gestik aufmerksam macht, dreht unser Schlauchboot unvermittelt und verkeilt sich zwischen zwei aus dem Wasser ragenden Felsen. Es ist nicht richtig bedrohlich, wir drohen lediglich vollzulaufen. Ich versuche, mich umzudrehen, um zu sehen, was “vorne“ eigentlich los ist. Dabei schiebt sich meine viel zu große Rettungsweste jedes Mal vor mein Gesicht.

Vom Ufer aus werden Fotos von uns geschossen, die wir nach der „Rafting Tour“ käuflich erwerben können. Die Fotos, die wir erstehen, zeigen nicht, wie wir hilflos versuchen, wieder flott zu kommen. Sie zeigen vielmehr, wie ein Schlauchboot mit sechs Mann Besatzung und einem einheimischen Steuermann pfeilschnell durch die weiße Gischt gleitet. Mit Blick auf diese Fotos gratulieren wir uns, auch dieses Abenteuer glücklich bestanden zu haben.

Abb. 7 - Pfeilschnell durch die weiße Gischt

Während der Rückfahrt nach Chiang Mai tauschen wir Email-Adressen aus. Dann wird es still in unserem Kleinbus. Danielle ist an der Seite von Pascal eingeschlafen, auch Antonio fallen die Augen zu. In Chiang Mai ist der Abschied formlos. Wir gehen rasch auseinander, jeder eine heiße Dusche vor Augen.

Ich treffe Antonio zusammen mit Danielle und Pascal noch zweimal in Chiang Mai, und zwar im Aroon Rai, einem Restaurant, das bei Einheimischen und Touristen gleichermaßen beliebt ist. Beim zweiten Mal zeigen sie stolz Fotos von einem „Thai Boxing“-Kurs, den sie gerade absolviert haben. Ein Foto von Danielle mit roten Boxhandschuhen gefällt mir besonders gut. Ich frage sie, ob sie sich vorstellen könne, eine solche Trekking-Tour noch einmal zu machen.[5] Wir sind uns einig, dass wir ein gutes Team waren. Dennoch überrascht es mich, dass sie meine Frage mit „Klar, auf jeden Fall!“ beantwortet.

Abb. 8 - Das Trekking-Team beim Abstieg durch die Felder der Hmong


[1] Vgl. Tom Vater: Thailands Bergvölker und Seenomaden. Bielefeld: Reise Know-How Verlag Peter Rump 2006. Das vollständige Zitat auf Seite 48 lautet folgendermaßen: „Geht man durch ein Dorf der Bergvölker, vor allem der Akha, so sollte man unbedingt hier und da anhalten und mit den Leuten sprechen, sonst wird man gelegentlich für einen Geist gehalten.“

[2] Zu den Bergvölkern Nordthailands werden etwa 1 Mill. Menschen gerechnet. Sie unterteilen sich in verschiedene Gruppen, und als die wichtigsten gelten die Karen, Hmong, Lahu, Akha, Mien und Lisu. Die meisten dieser ethnischen Gruppen sind im Verlauf der letzten 300 Jahre aus Burma, China, Laos oder Tibet eingewandert. Wenn Angehörige dieser Minderheiten nicht nachweisen können, dass sie in Thailand geboren wurden, wird ihnen die thailändische Staatsbürgerschaft verweigert.

[3] Vgl. Mischa Berlinski: Fieldwork. New York: Picador 2007. Das Zitat ist Seite 312 dieses lesenswerten Romans entnommen. Er handelt von einem Journalisten, der der Geschichte einer amerikanischen Ethnologin nachgeht, die angeklagt wird, einen Missionar ermordet zu haben und unter ungeklärten Umständen in einem Gefängnis in Thailand ums Leben kommt.

[4] Vgl. Dean MacCannell: Staged Authenticity: Arrangements of Social Space in Tourist Settings. In: American Journal of Sociology 1973:79(3): 589-603

[5] Empfehlenswerte Trekking-Touren (garantiert ohne Elefant) in der Provinz Mae Hong Son bietet Pen an (Email: pencave@yahoo.com). Die junge Frau spricht Englisch und engagiert sich für die Bergvölker Nordthailands. Übernachtet wird in einem Dorf der Karen, das für seine handgewebten Stoffe bekannt ist. Und gegessen wird, was bei den Dorfbewohnern auf den Tisch kommt.

 

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