Frederik Holst: “Malaysias ethnisiertes Gesellschaftssystem”

Der folgende Text wurde uns von Dr. Frederik Holst, DORISEA-Assoziierter an der Humboldt-Universität zu Berlin, freundlicherweise zur Verfügung gestellt und ist zuerst in den Hintergrundsinformationen zum Weltgebetstag der Frauen 2012 (Schwerpunktland Malaysia) erschienen.

Malaysia wird von außen oft auf zwei sehr unterschiedliche Weisen wahrgenommen: Zum einen als Musterbeispiel für ein friedliches Zusammenleben verschiedener Kulturen und ethnisierter Gruppen [1], zum anderen als ein Land, in dem die Gegensätze zwischen den einzelnen Gruppen stark hervorgehoben werden, wo es politische und wirtschaftliche Bevorzugung auf Grund ethnisierter Herkunft gibt und wo es nur eingeschränkte Religionsfreiheit gibt.

Wie so oft haben beide Perspektiven nachvollziehbare Erklärungen und sind trotz ihrer zunächst gegensätzlich erscheinenden Position miteinander verschränkt. Will man das malaysische Gesellschaftssystem verstehen, muss man sich diesen Zusammenhang genauer anschauen, weshalb ich in diesem Artikel eine etwas andere Lesart der Gesellschaft Malaysias vorstellen möchte: Anstatt der oft zu findenden Beschreibung Malaysias, die das „Multi-ethnische“ und „Multi-kulturelle“ als herausragendes Merkmal hervorhebt, und damit das Trennende unterstreicht, möchte ich zeigen, dass die Aufteilung in bestimmte ethnische oder kulturelle Schubladen eine Perspektive ist, die nicht von Anfang an existiert hat, die aber im Laufe der Zeit das politische und gesellschaftliche System stark geprägt hat.

Malaysia ist seit der Unabhängigkeit von größeren Konflikten verschont geblieben, die heftigsten Auseinandersetzungen, die sogenannten Maiunruhen von 1969 mit geschätzten einigen hundert bis tausend Toten, liegen über 40 Jahre zurück. Die Regierung der Barisan Nasional (BN, „Nationale Front“) nimmt für sich in Anspruch, durch die Einbindung der Minderheiten in einer Art Große Koalition eine ausgleichende und faire Politik zu betreiben; bestimmte Bevorzugungen seien nötig, um geschichtlich-kolonial bedingte Ungleichheiten zwischen den Bevölkerungsgruppen auszugleichen, so die Legitimation der BN.

Andererseits wird in diesem semi-autoritären Staat der Opposition nur wenig Raum gelassen, auch wenn jene es in einigen Bundesstaaten geschafft hat, die Regierung zu stellen und bei der letzten Wahl die Zweidrittelmehrheit der BN zu verhindern. Eines der Hauptmerkmale in der politischen Auseinandersetzung ist dabei, dass bestimmte Themen wie Sprache und Religion häufig mit den Interessen der ethnisierten Gruppen gleichgesetzt werden. Eine sprach- oder religionspolitische Entscheidung wird somit schnell zu einer Frage, die über die Zukunft der einen oder anderen ethnisierten Gruppe entscheidet. In solchen Prozessen bekommen so selbst angeblich „neutrale“ Themen eine ethnisierte Bedeutung, denn sie entwickeln einen ausgrenzenden Charakter und dominieren letztlich den öffentlichen Diskurs.

Die Entstehung der ethnisierten Trennlinien

Um die Wirkung dieser Ethnisierungsprozesse im malaysischen Gesellschaftssystem zu verstehen, muss man etwas in der Geschichte zurückgehen.

Bevor Portugiesen, Holländer und Briten das Gebiet des heutigen Malaysias kolonialisierten, gab es zwar auch Königreiche bzw. Sultanate in der Region, jedoch nicht in der starren Form, wie wir sie heute von Nationalstaaten kennen. Die Einflusssphären waren eher überlappend, mit wechselnden oder mehrfachen Tributbeziehungen, für die der Historiker Oliver Wolters den Begriff „Mandala-Staaten“ geprägt hat. Der kulturelle Austausch in der Region war daher sehr viel weiträumiger als zu späteren Zeiten, in denen durch koloniale und nationalstaatliche Grenzen Hürden entstanden, die auch heute noch zu überwindend sind. Gerade die Region Inselsüdostasiens war durch ihre zentrale Lage im Bereich des Seehandels eine Schnittstelle zwischen dem arabischen Raum, dem indischen Subkontinent und China. Auch heute finden sich noch viele und teils lebhafte Spuren dieser vielschichtigen Beziehungen, insbesondere in Sprache und Religion: So existieren im Malaiischen eine Unmenge von Lehnwörtern aus dem Sanskrit, dem Arabischen oder teilweise auch aus dem Chinesischen, und viele Muslime nehmen neben dem Islam weiterhin Bezug auf das Adat, das vorislamische Wertesystem aus der Region.

Mit dem Beginn der Kolonialzeit veränderte sich dies langsam aber sicher: Die Einteilung in ethnisierte Gruppen, die es so vorher in der Vorstellung der Menschen nicht gab, sorgte zwar für ein vereinheitlichtes Bezugssystem, hatte aber auch zur Folge, dass Abweichungen von diesen klaren Strukturen keinen Platz mehr hatten. Insbesondere der von den Kolonialmächten durchgeführte Zensus zur besseren Kontrolle der Kolonie hatte hierauf starken Einfluss. Neben der Notwendigkeit, sich einer der vordefinierten Gruppen zuzuordnen, gab es in der Folge immer weniger Auswahl: ein Kind einer ethnisierten Chinesin und eines ethnisierten Malaien musste dann ausschließlich einer der beiden Gruppen zugeordnet werden. Diese vereinheitlichte (Zwangs-)Zuordnung gewann im Laufe der Zeit mehr und mehr an Bedeutung.

Die Briten begannen nämlich im 19. Jahrhundert Arbeitskräfte in großer Zahl, meistens aus China und Indien, in die Kolonie zu bringen. Die Gründe hierfür sind vielfältig, u.a. wegen des arbeitsintensiven Abbaus von Rohstoffen, darunter Zinn und Kautschuk. Gleichzeitig jedoch unterstützte dieser Prozess die Aufteilung der Gesellschaft, weil man die neuen Arbeitskräfte nur in bestimmten Wirtschaftszweigen einsetzte. Die einheimische Bevölkerung blieb somit größtenteils im Agrarsektor und in der Verwaltung. Ein Austausch zwischen diesen Gruppen existierte zwar weiterhin, aber in sehr viel geringerem Maße, denn die Kolonialmacht versuchte die durch die unterschiedlichen Arbeitssituationen entstandene Trennung aufrecht zu erhalten, um u.a. zu verhindern, dass sich Widerstand gegen die Kolonialherrschaft über die ethnisierten Grenzen hinweg entwickeln konnte.

Die mit diesem kolonial gesteuerten Transformationsprozess einhergehenden Umwälzungen in der Wirtschafts- und Sozialstruktur führten innerhalb weniger Jahrzehnte dazu, dass auf mehreren Ebenen kaum noch Austausch zwischen den konstruierten Gruppen stattfand. Dies zeigte sich u.a. in dem Verhältnis von Stadt- und Landbevölkerung, da die neuen Arbeitskräfte größtenteils in den Städten angesiedelt wurden, oder  in der schulischen Ausbildung, wo in den Grundschulen getrennt in malaiischer, chinesischer und tamilischer Sprache unterrichtet wurde. Besonders deutlich wurden die Auswirkungen jedoch in der wirtschaftlichen Teilhabe: Während die einheimische Bevölkerung lange Zeit in bäuerlicher Subsistenzwirtschaft lebte, sorgte das kolonial-kapitalistische Wirtschaftssystem für eine Stärkung der urbanen Zentren, auch wenn es hier ebenfalls starke Klassenunterschiede gab. Gleichzeitig war die Verwaltung mit ethnisierten Malaien besetzt und suggerierte somit Einflussmöglichkeiten für die einheimische Elite. Jedoch spitzten sich die aus diesem Wirtschaftssystem ergebenden sozialen Ungleichheiten immer mehr zu. Die wachsende Vorstellung, dass auf der einen Seite die ethnisierten Malaien, die als genuin einheimische Bevölkerung definiert wurden (bumiputera, „Söhne der Erde“), in ihrem Land marginalisiert werden könnten, und auf der anderen Seite den Zugezogenen keine Perspektive geboten wurde, war ein wichtiger Bestandteil der „Teile-und-Herrsche“-Politik der Briten. So konnte die Ursache für die jeweilige Benachteiligung – geringe wirtschaftliche bzw. politische Partizipationsmöglichkeiten – mit der angeblichen Dominanz der jeweils anderen Gruppe in dem jeweiligen Sektor erklärt werden. Dadurch, dass gleichzeitig den Neubürger_innen kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht (ebenfalls ein Konzept, das es erst seit der Kolonialzeit gab) in Aussicht gestellt wurde, verstärkte sich die Wahrnehmung des „Anderen“ als den „Fremden“ noch weiter.

Diese starke trennende Struktur in der Gesellschaft ermöglichte es den Briten, trotz der militärischen Niederlage gegenüber den Japanern auch nach dem Zweiten Weltkrieg vorerst wieder Fuß in der Region zu fassen. Obwohl es inzwischen Unabhängigkeitsbewegungen gab, die ähnlich wie in Indonesien eine schnelle Selbstständigkeit anstrebten, blieben diese schwach. Zum einen war dies der Fall, weil im aufziehenden Kalten Krieg die linksnationalistischen Kräfte, die z.B. in Indonesien nach schweren Auseinandersetzungen mit der holländischen Kolonialmacht die Unabhängigkeit erkämpft hatten, schnell als neue Feinde ausgemacht wurden. Zum anderen nutzten die lokalen, eher rechtskonservativ-nationalistischen Eliten die Gunst der Stunde und setzten sich an die Spitze der Unabhängigkeitsbewegung. Die Briten, die ihre Kolonie nicht unter kommunistischen Einfluss gelangen lassen wollten, unterstützten diese Bewegung, aus der die spätere Hauptregierungspartei UMNO (United Malays National Organisation) hervorging. Es folgten ebenfalls ethnisch-basierte Parteigründungen der Malay(si)an Chinese Association (MCA) und des Malay(si)an Indian Congress (MIC). [2] Gesellschaftliche Auseinandersetzungen, einschließlich der Unabhängigkeit, wurden fortan von den Briten mit diesen Parteien verhandelt, die sich in der „Alliance Party“-Koalition zusammenschlossen, aus der später die Barisan Nasional entstand. Eine Konkordanzregierung, die aus den Vertretern der größten ethnisierten Gruppen bestand, wurde als Lösung für die gesellschaftlichen Konflikte gesehen, deren Ursachen man auf die ethnisierten Unterschiede zurückführte.

Die in der Kolonialzeit etablierten ethnisierten Trennlinien konnten sich so über den Zweiten Weltkrieg und die Unabhängigkeit hinweg halten und verhinderten somit effektiv, dass sich ein auf sozialen Schichten basierendes „links-rechts“-Parteiensystem herausbilden konnte, wie wir es z.B. aus der Bundesrepublik her kennen. [3]

Ethnisierung als Daseinsberechtigung der Regierung

Wie ist es jedoch möglich, dass der Erfolg der BN-Regierung – in wechselndem Ausmaß – seit mehr als fünf Jahrzehnten anhält? Ist nicht vielmehr dieser Erfolg ein Beleg dafür, dass die Regierung gute Arbeit leistet und eine Bestätigung dafür, dass es Probleme zwischen den ethnisierten Gruppen gibt, die gemanagt werden müssen? Wieder gibt es hierfür mehr als eine Antwort. Oberflächlich betrachtet kann man die Gründe anführen, die z.T. schon zu Beginn genannt wurden, darunter Stabilität und Wirtschaftswachstum, aber auch ein Wahlsystem, das die regierenden Parteien deutlich bevorzugt und mit autoritären Elementen verstärkt wird.

Geht man eine Ebene tiefer, findet man noch eine andere mögliche Erklärung: Eine Regierung, die sich als Mediator in einer Gesellschaft mit ethnisierten Konflikten sieht, hat ihren Auftrag erfüllt, wenn diese Konflikte geschlichtet sind und die Ursachen dafür beseitigt sind. Insofern hat sie – mangels anderer Programminhalte – ein Interesse daran, dass diese Konflikte auf unterschiedlichem Niveau weiter bestehen und es keine anderweitigen Erklärungen oder gar Lösungsansätze gibt. Solange die ethnisierten Trennlinien zumindest zum Teil auch sozialen Schichten entsprechen, z.B. durch starke Unterschiede aus der Kolonialzeit heraus, existiert wenig Spielraum für alternative Lösungsansätze. Die sich gegenüber stehenden Gruppen würden mehr oder weniger erhalten bleiben, und der von der Regierung stark beeinflusste öffentliche Diskurs verstärkt die dabei bestehende, vorherrschende Erklärung, dass ethnisierte Trennlinien das Hauptproblem der Gesellschaft sind.

Jedoch muss eine solche Regierung auch Erfolge vorweisen, die zeigen, dass sie versucht, die Unterschiede zu beseitigen. Regierungsprogramme wie „Vision 2020“ oder „One Malaysia“ zeigen in euphorischen Bildern eine Zukunft Malaysias, in der ethnisierte Spannungen überwunden sind und allgemeiner Wohlstand herrscht. Würde die Regierung aber wirklich erfolgreich damit sein, hätte sie sich dabei auch selbst um ihre Daseinsberechtigung gebracht, denn natürlich verschwinden bei einer Angleichung der Lebensbedingungen der ethnisierten Gruppen nicht automatisch auch die wirtschaftlichen und sozialen Probleme in einer Gesellschaft, die oft viel tiefer sitzen. Wenn aber die gegeneinander positionierten ethnisierten Gruppen nicht mehr als Hauptproblem gesehen würden, sondern z.B. soziale Schichtungen zum Tragen kommen, hat eine Regierung mit rein ethnisch definierten Parteien ein Problem: Da diese Parteien programmatisch bislang keine weiteren Inhaltsschwerpunkte vorweisen, an denen man sie grundsätzlich unterscheiden könnte (z.B. in der Wirtschafts-, Sozial- oder Umweltpolitik), müssten sie sich entweder grundlegend wandeln oder würden von anderen Parteien verdrängt, die diese Themen in andere Koordinatensysteme einordnen, z.B. einem konservativ-liberal-sozialdemokratischen Spektrum.

Da das jetzige System für die beteiligten Parteien, darunter insbesondere die Eliten, auch wirtschaftlich sehr lukrativ ist, muss die Regierung, wenn sie an der Macht bleiben will, also dafür sorgen, dass es weiterhin ethnisierte Spannungen in der Gesellschaft gibt, für die sie als Mediator gebraucht wird. Dies tut sie, indem bestimmte Themen von vorneherein als „gefährlich“ einsortiert werden und daher nur sehr begrenzt oder gar nicht in den Medien diskutiert werden dürfen. Dazu gehören u.a. Fragen zur Religion, zur Sprachpolitik, aber auch die Festschreibungen der Rechte einzelner ethnisierter Gruppen. Offiziell wird dies mit dem Schutz der jeweiligen Gruppen begründet, jedoch ist oft gar nicht klar, ob diese Themen, wenn sie denn diskutiert würden, wirklich dazu führen würden, dass die eine Gruppe die jeweils andere(n) Gruppe(n) marginalisieren würde. Es reicht, dass die mögliche Gefahr im Raum steht, damit sich die Regierung als vermeintliche Lösung eines möglicherweise fiktiven Problems annehmen kann. Das ethnisierte Parteiensystem perpetuiert sich somit von selbst in einer janusköpfigen Art und Weise, und es stellt sich die Frage, wer eigentlich „Mediator“ und wer „Verursacher“ der ethnisierten Konflikte ist.

Ein „neuer“ Blick auf „alte“ Probleme?

Die Geschichte Malaysias und die Beispiele in diesem Artikel zeigen, war ein lebhafter kultureller Austausch in früheren Jahrhunderten eine Selbstverständlichkeit in der Region. Erst mit der Einführung von Konstrukten wie Nation und Ethnie/Rasse durch die Kolonialmächte und deren Wirtschaftssystem entwickelte sich dies mehr und mehr zu einer Besonderheit. Sprache und Religion wurden seither nicht mehr in einem vielschichtigen Prozess miteinander ausgehandelt, sondern wurden zu Trennlinien, anhand derer sich ein ethnisiertes Parteiensystem aufbauen konnte, das die malaysische Gesellschaft bis heute prägt.

Die ethnisierte Gruppenzugehörigkeit ist somit aber auch eine gesellschaftliche Realität, die das Leben der Malaysier täglich auf direkte und indirekte Art und Weise bestimmt, ob beim Hauskauf, bei der Einschreibung an der Universität oder gar bei der Mitgliedschaft in einem Bonuspunkteprogramm einer Supermarktkette. Ein solches System, das eine Vielzahl von Lebensbereichen umspannt, ist daher nicht von heute auf morgen zu überwinden, gerade wenn viele Mechanismen nur indirekt wirken. Lang bestehende Erklärungsmuster müssen dazu hinterfragt werden, die über viele Jahre gerade auch im Bildungssystem aufgebaut worden sind, und die ihre Wirkung und Beständigkeit z.B. in Alltagsstereotypen entfalten, bei denen zum Teil unbewusst und unbeabsichtigt ethnisierte Unterschiede reproduziert werden.  Hinzu kommt, dass die politischen Akteure, die von diesem System profitieren, nicht passiv bleiben und in den letzten Jahren mit immer härteren Bandagen gegen zivilgesellschaftliche Gruppen vorgehen, die die Widersprüchlichkeiten und Ungleichheiten in diesem System herausstellen. Die Verhaftung Hunderter Aktivisten der Bürgerrechtskoalition „Bersih“ im Juli 2011 anlässlich einer geplanten friedlichen Demonstration für eine Verbesserung des Wahlsystems zeigt, wie stark die Beharrungskräfte in dieser Hinsicht noch immer sind.

Vor diesem Hintergrund lässt sich erkennen, weshalb ethnisierte Konflikte wahrscheinlich auf absehbare Zeit ein zentrales Merkmal der malaysischen Gesellschaft bleiben werden, auch wenn es mehr und mehr Gruppierungen und Strömungen gibt, die dieses System überwinden wollen und die zeigen, dass die vermeintlichen Trennlinien oft mehr von außen als von innen kommen. Gerade im Bereich der Kunst, des Theaters oder der Musik sowie manchen Graswurzelorganisationen findet trotz der genannten Einschränkungen mehr und mehr Austausch über die ethnisierten Grenzen hinweg statt. Die Frage, ob dieser Silberstreif am Horizont langfristig Erfolge ermöglicht, hängt nicht nur davon ab, wie sich die gegenwärtige Regierung dem entgegenstellt, sondern auch davon, ob das Denken in ethnisierten Kategorien schrittweise überwunden werden kann – in Malaysia und darüber hinaus.

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[1]
Ich bevorzuge gegenüber den Adjektiven „ethnisch“ oder gar „rassisch“ den Begriff „ethnisiert“, also z.B. „ethnisierte Gruppe“ oder „ethnisierter Malaie“. Wissenschaftlich ist weitestgehend erwiesen, dass es keine angeborenen Eigenschaften gibt, die man der ethnischen – also z.B. der kulturellen oder geographischen – Herkunft zuordnen könnte und die so stark wären, als dass der Mensch sich nicht – je nach sozialem oder kulturellem Umfeld, in dem er oder sie aufwächst – auch gänzlich anders entwickeln könnte. Unterschiede innerhalb dieser als „fest“ und „statisch“ gedachten Gruppen sind daher immer größer als wenn man die Unterschiede zwischen dem Durchschnitt zweier Gruppen vergleicht. Da diese ethnischen Zuschreibungen („Deutsche/Chinesen/Malaien sind so-und-so“ bzw. „typisch deutsch/chinesisch/malaiisch“) äußere Zuschreibungen sind, sollte sich das auch in dem verwendeten Vokabular wiederspiegeln. Während man daher bei „ethnischen Chinesen“ davon ausgeht, dass es eine Essenz gibt, die ausnahmslos alle Chinesen teilen würden, drückt „ethnisierte Chinesen“ einen Prozess aus , d.h., es gibt eine Vorstellung davon, wie ein „typischer Chinese“ zu sein hat, und dass diese Vorstellung den Menschen in dieser Gruppe dann regelmäßig zugeschrieben wird, entweder von anderen Gruppenmitgliedern (um z.B. politische „Einheit“ herzustellen) oder von außen (um gesellschaftliche Trennungen zu begründen). Das auf den ersten Blick etwas holperig klingende „ethnisiert“ lässt daher im Gegensatz zu „ethnisch“ also die Frage offen, ob die Menschen in der so benannten Gruppe vielleicht auch ganz andere Teile ihrer Identität in den Vordergrund stellen.

[2]
Bis 1963 lautete der Name der Kolonie bzw. des Staates „Malaya“, erst mit der Aufnahme von Sabah und Sarawak auf der Insel Borneo und Singapurs in jenem Jahr änderte sich der Name zu „Malaysia“. Singapur wurde 1965 aus dem Bundesstaat ausgeschlossen. Die Namen von vielen Organisationen änderten sich daher von „Malayan“ zu „Malaysian“, so auch bei den genannten politischen Parteien.

[3]
Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass es in der bundesrepublikanischen Gesellschaft keine Ethnisierung gibt: Zwar hat es bisher noch keine Partei mit ethnisch-/rassistisch-basiertem Parteiprogramm geschafft,  eine Regierung zu bilden, dennoch findet auch in Deutschland mehr und mehr eine Ethnisierung sozialer Probleme statt. Über Jahrzehnte hinweg hat die Stigmatisierung von Menschen ohne deutschen Pass die Auseinandersetzung um soziale Konflikte begleitet. Waren es in den 1960er und 1970er Jahren ArbeitsmigrantInnen aus Südeuropa, die für soziale Probleme wie z.B. höhere Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht wurden, waren es in den 1980ern hauptsächlich Menschen aus der Türkei, in den 1990ern die Asylbewerber und seit 2001 oft nur noch „die“ Muslime. Dass es sich hierbei nicht nur um rechte Randgruppen handelt, die dieses Thema besetzen wollen, sondern die Mehrheitsgesellschaft Teil dieses Ethnisierungsprozesses ist, hat nicht zuletzt 2010 die Sarrazin-Debatte deutlich gemacht.

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